Dr. Dr. Petra Dickmann leitet den Bereich Public Health an der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena.
Haben Sie sich impfen lassen? Und wenn ja: aus welchem Grund?
Ja, klar: zur ersten Gelegenheit. Da ich auf der Intensivstation arbeite und dort auch COVID-19-Patientinnen und -Patienten behandle, habe ich sehr gerne die erste Gelegenheit zur Impfung genutzt. Für mich war es hilfreich, wirklich alles über die Impfung und den Wirkmechanismus von mRNA-Impfstoffen zu erfahren. Ich habe dazu Fortbildungsangebote angenommen (u. a. hier vom UKJ, die einen Kollegen mit einer erstklassigen Präsentation mit Diskussion gestreamt haben). Faszinierend, dass es innerhalb so kurzer Zeit möglich war, eine Reihe von sicheren und wirksamen Impfstoffen zu produzieren, die der Weg aus der Pandemie sind!
Impfung halte ich persönlich für einen Segen für die Menschheit und einen wirklichen Fortschritt in der Medizin. Bei dem mRNA-Wirkprinzip finde ich es so interessant, dass diese Impfstoff-Entwicklung jahrzehntelang im Bereich der Krebsforschung entwickelt wurde mit dem Ziel, wirksame Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln. Stellen Sie sich mal vor, wenn dieses Impfstoff-Prinzip durch den Einsatz und die Erfahrungen in der Pandemie den entscheidenden Schritt vorwärtskommen würde und wir möglicherweise bald dadurch Impfstoffe gegen Krebs hätten…?
Was sagen Sie Studierenden, die noch zögern, sich impfen zu lassen?
Impfen ist der Weg aus der Pandemie – wir sind mittlerweile so tief in der Pandemie drin, dass jede und jeder Kontakt mit dem Virus haben wird: entweder in Form der Impfung oder in Form der Infektion. Vor die Wahl gestellt, empfehle ich natürlich die Impfung. Dabei würde ich allerdings Studierenden aufgrund des Risikoprofils empfehlen, auf die mRNA-Impfstoffe zu bestehen (vorzugsweise BioN-Tech), auch wenn dies eine zweimalige Impfung erfordert. AstraZeneca und Johnson&Johnson empfehle ich nicht für die eher jüngere Kohorte der Studierenden.
Die Informationslage zu den Impfstoffen und den Wirkprinzipien ist für literate Menschen – wie Studierende es sind – gut verfügbar.
Was konnte man aus den ersten Wellen lernen, das jetzt wichtig ist?
Wir haben durch die ersten drei Wellen die Grundprinzipien der virologischen Aspekte und der gesellschaftlichen Effekte der Pandemie besser kennengelernt. So haben wir in den ersten Wellen mit dem Lockdown und auch den Schulschließungen verhindert, dass besonders vulnerable Gruppen dem Virus schutzlos ausgeliefert waren. Dieses Prinzip hat sich durch die Verfügbarkeit von Impfstoffen grundlegend geändert: Nun braucht es keinen Lockdown und keine Schulschließung mehr, die übrigens einen dramatischen negativen Effekt auf die Kinder hatte, sondern den Impfschutz: angefangen bei vulnerablen Risikogruppen bis hin zur gesamten Gesellschaft. Wer sich jetzt nicht impfen lässt, nimmt eine Infektion in Kauf. Je älter Menschen sind, desto höher ist das Risiko schwer zu erkranken. Um dies zu verhindern, braucht es die Impfung – und keinen Lockdown und keine Schulschließung mehr.
Medizinisch gesprochen hatten wir medizinischen Fortschritt im Zeitraffer: Wir sind zunächst davon ausgegangen, dass COVID-19-Patientinnen und -Patienten führend mit einem Lungenversagen in die Klinik kommen und sie „lediglich“ lungenprotektiv beatmet werden müssen. Dann haben wir gelernt, dass das Virus besonders die Endothelien, also die Gefäßwände, befällt und es neben Lungenversagen auch zu Gerinnungsstörungen mit Schlaganfällen und anderen Organschäden kommt. Mittlerweile sehen wir COVID-19 eher als virale Sepsis.
Auf persönlicher Ebene habe ich die Wertschätzung von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten noch einmal neu gelernt: also die Besonderheit von Gemeinschaft mit Präsenz und Interaktion in Gruppen; und die Reisefreiheit, die ich persönlich nie eingeschränkt erlebt habe. Was freue ich mich wieder auf Reisen ohne Einschränkungen, ohne Testung und Quarantäne und diesen ganzen Klimbim.
Sind die sozialen Folgen der Maßnahmen für Studierende zu wenig beachtet worden?
Studierende werden als an sich robuste gesellschaftliche Gruppe eingeschätzt. Auch wenn es signifikante Einschnitte in das Studium und auch in die Biographie gab, ist davon auszugehen, dass Studierende am ehesten diese Störungen und Disruptionen kompensieren können. Studierende sind aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position und kognitiven Leistungsfähigkeit auch am ehesten in der Lage, gute und innovative Vorschläge zu machen, wie man besser mit Pandemien und anderen Störungen umgehen kann.
Gibt es wirklich gute Gründe, sich NICHT impfen zu lassen?
Nein. Impfen ist nie gefährlich. In manchen Situationen wirkt die Impfung einfach nicht gut, z. B. wenn man an Krankheiten leidet, die mit Medikamenten behandelt werden, die das Immunsystem schwächen. Der Körper kann dann nicht den Impfschutz aufbauen. Aktuelle Studien kommen gerade zu dem Ergebnis, dass man durch dreifache Impfung, also einen weiteren Booster, den Impfschutz herstellen kann. Das ist jetzt allerdings eher sehr speziell.
Die kurze Antwort: Nein, es gibt keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen…
Was erwarten Sie für den Herbst/Winter? Und was sollten Politik, Gesellschaft etc. tun, um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen?
Impfen ist der Weg aus der Pandemie; daher sollte die Bedeutung des Impfens gezielt kommuniziert werden und die Annahme eines Impfangebotes so einfach wie möglich sein. Es sollte ohne Hürden möglich sein, sich quasi überall impfen lassen zu können. Das kann man auch im Rahmen von Aktionen veranstalten.
Die fundamentalen Impfgegner wird man mit Argumenten und mit „aufsuchenden Impfangeboten“ nicht überzeugen können; die Unentschlossenen und Bequemen kriegt man so sehr gut. Finanzielle Anreize verändern den gesellschaftlichen Vertrag: Impfen ist immer Selbst-, aber auch in besonderer Weise Fremdschutz. Ungeimpfte können meines Erachtens nicht erwarten, dass sie dann ohne Einschränkungen an der Gemeinschaft teilhaben können, die sie mit ihrer Entscheidung gegen das Impfen eigentlich ablehnen.
Wann wird Corona nur noch ein Thema für Spezialistinnen und Spezialisten sein?
Ich habe mich mit Infektionsausbrüchen und Pandemien schon lange vor dieser Pandemie wissenschaftlich und hands-on beschäftigt. Für mich ist es quasi ein Wohlfühlbecken und ich bin immer noch ganz elektrisiert davon, dass diese Pandemie in meiner Lebenszeit stattfindet und ich meinen Enkelkindern hoffentlich davon erzählen kann. Wir lernen als Gesellschaft aus diesen Störungen und Belastungen unser Gemeinschaft. Corona wird möglicherweise bald ein Thema, das nur noch Intensivmedizinerinnen und -mediziner beschäftigt. Gleichzeitig können wir aufgrund der Klimakrise, der Globalisierung, der Nähe von Mensch und Tier mit weiteren Ereignissen dieser globalen Art rechnen, sodass es sicherlich sinnvoll ist, eine Art von Pandemiekompetenz oder Störungskompetenz, eine Resilienz, zu entwickeln, sowohl für den Einzelnen wie auch für Gesellschaften, Nationen und Vereinte Nationen.
Das Interview wurde am 13. August 2021 geführt.
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